Der Laptop von früher war ein Sekretär
Am zweiten europaweiten Tag der Restaurierung haben auch Bremer Fachleute Einblick in ihren Beruf gewährt, der vielerlei Expertenkenntnisse erfordert.
Früher war manches vielleicht doch besser. Sonst hätte es die Zeit bis heute nicht überdauert. Am zweiten europäischen Tag der Restaurierung sind am Sonntag auch in Bremen Beispiele aktueller Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten vorgestellt worden. In der Neustädter Silberwarenfabrik Koch & Bergfeld konnten Besucher sich vorführen lassen, wie ein Schreibschrank aus dem späten Biedermeier so hergerichtet wird, dass er eine lange Zukunft haben wird. Auch wenn die Vergangenheit die Hauptrolle spielt, wollen Restauratoren mit dem Aktionstag den Blick auf die Gegenwart lenken: Die Expertenszene ist so klein, dass Nachwuchs gesucht wird.
Catharina Bock ist bereits auf dem Weg, Holz- und Möbelrestauratorin zu werden. Noch ist sie als Praktikantin im Vorstudium, ob sie in Köln, Hildesheim, Potsdam oder an einer der anderen wenigen entsprechenden Hochschulen landet, weiß Bock noch nicht. „Das sind ganz kleine Studiengänge mit sechs Leuten“ sagt sie. So wird die Branchenszene nicht groß. Die Tischlerinnung in Bremen, weiß sie von ihren Chefs Roger Kossann und Karen Melching, hat vor rund 170 Jahren absichtlich auf Exklusivität gesetzt: Nur ein neuer Meister wurde pro Jahr zugelassen, umso angestrengter die Bemühungen der Gesellen, die versuchten, aufgenommen zu werden. Kossann spricht gar von „Schikane“ gegen die Handwerker, als er einen schmucken Sekretär aus Eichenholz mit Palisanderfurnier und metallenen Intarsien vorführt.
Gut, aber schlecht zu verkaufen
Die Bleistiftnotiz „12. März 1846“ interpretiert Kossann als Hinweis auf den Tag, an dem das Möbelstück fertig wurde. Die Innung habe vorgegeben, was die angehenden Meister zu bauen hatten und „war sehr konservativ“, sagt Kossann. Das Baumuster – „der Riss“ – für Meisterstücke sei mitunter 15 Jahre im Umlauf geblieben.
Am Ende hatte der frisch gebackene Meister ein halbes Jahr gearbeitet, ohne etwas zu verdienen, und viel Geld für erstklassiges Material ausgeben müssen. Dann konnte er das gute Stück, das ein Mehrfaches seines Jahreslohns kosten musste, nur schlecht verkaufen. Weil Tischler „nie en vogue“ und ihre Möbel manchmal einfach nicht mehr gefragt waren, wie Kossann sagt. Anhand eines ähnlichen Risses übrigens, der sich im Focke-Museum gefunden habe, sei der Sekretär als Bremer Modell identifiziert worden.
Kossann und Melching wissen eine Menge über das Möbelstück und seine Beschaffenheit: Der Sekretär wurde nicht allzu viel benutzt in seiner 173-jährigen Geschichte, die Farbveränderungen lassen Rückschlüsse auf Sonneneinstrahlung zu; Sprünge im Furnier deuten darauf hin, dass sich an einer Seite des Sekretärs eine Heizquelle befand. Früher sei ein Sekretär gewesen, „was heute der Laptop ist“, sagt Kossann – sofern er ordentlich verschlüsselt ist. „Die Leute hatten da alles drin.“
Eigentlich ist dieser Schrank kein Fall für Restauratoren, jedenfalls kein akuter. Er sei bestens geschützt unter seiner alten Politur, ohne Geheimfach zwar, aber selbst ein Schatz und vorzüglich erhalten für sein Alter, erklärt Melching. Perlmutt-Einfassungen für Löcher der noch heute vorhandenen Schlüssel müssen ergänzt werden. Nicht originale, wenn auch schon über 100 Jahre alte Beschläge sollen noch ausgetauscht, die fehlenden Säulenfüße ersetzt werden. Wenn Melching mit den dankenswerterweise von früheren Besitzern aufbewahrten Furnier-Puzzlestücken die Oberfläche wieder geglättet hat, will sein neuer Eigentümer den Sekretär zum Einsatz bringen.
Klaus Neubauer, Geschäftsführer der 190 Jahre alten Silbermanufaktur Koch & Bergfeld, hat den Sekretär bei einer Auktion ersteigert, „um ihn in die Präsentation zu integrieren“. Abgesehen von den Wintermonaten – „wir heizen nicht“ – produziert die Manufaktur am Kirchweg Silberbesteck wie eh und je. Zumindest die schweren Stanzen, mit denen die ersten der 40 pro Messer, Gabel oder Löffel notwendigen Arbeitsschritte erledigt werden, stehen hier. Der Schrank passe perfekt in den Schauraum der Fabrik, die heute ein Baudenkmal ist. Das überwiegend im Stil der französischen Neorenaissance gestaltete Gebäude und der biedermeierliche Schrank, „das passt doch wie die Faust aufs Auge“.
„Gebäude und Objekt ergänzen sich“
Auch Kossann sieht das so: „Die Manufaktur ist ein schönes Domizil, Gebäude und Objekt ergänzen sich.“ Außer ihm, seiner Kollegin, einer Studentin und Praktikantin Catharina Bock ist auch Monica Borgward anwesend. Die Tochter des berühmten Bremer Autobauers verkörpert an diesem Tag der Restaurierung eine weitere Generation Sachverständiger: Sie ist früher Antiquitätenhändlerin gewesen, Kossann war in jungen Jahren ihr Mitarbeiter. Auch zu Koch & Bergfeld gibt es da eine frühe Querverbindung, sagt Neubauer: „Wir haben nach dem Krieg Kotflügel für Borgward gepresst.“
„Als Restauratoren sind wir längst im Jetzt angekommen“, sagt Kossann: Das „neue Alt“ seien mittlerweile die 1950er-Jahre: Kürzlich habe er einen „Schneewittchensarg“ aufgemöbelt, die Stereoanlage, die der Designer Dieter Rams einst für Braun gestaltet hatte. Den Trend, Dinge zu reparieren, statt sie wegzuwerfen, stellen Kossann und seine Kollegin schon länger fest. „Neulich“, erzählt Melching, „wollte jemand eine Ikea-Schrankwand restaurieren lassen, das hat sich aber nicht gerechnet.“
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