Leinölkur für Hemelinger Kirchentüren
Aus der Entfernung fällt es kaum auf: Das Portal der evangelischen Kirche in Hemelingen ist gar keine Tür, sondern nur deren Abbildung. Ein Trompe-l‘oeil (täusche das Auge) nennt Karen Melching das: mit malerischen Mitteln vorgegaukelte Wirklichkeit wie im Barock. Die kunstvoll bedruckte Plane kaschiert den verrammelten Kircheneingang, bis die Restauratorin das 131 Jahre alte Original der Doppelflügeltür für eine bewegte Zukunft hergerichtet hat.
Eine Menge Holz und eine ordentliche Portion schmiedeeiserner Beschläge müssen dazu von den Resten alter Lackschichten und von Rückständen nicht ganz denkmaltauglicher Stoffe wie Silikonabdichtungen befreit werden. Von der ersten Ölung bis zur letzten Politur werden mindestens zwei Monate vergangen sein. Zu Ostern könnte das Portal möglicherweise wieder in seinen Angeln hängen und einladend geöffnet sein für die Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes – wenn es denn Gottesdienste geben wird.
Die größtenteils von der Fabrikanten-Familie Wilkens gestiftete, im neugotischen Stil erbaute Rotsteinkirche war im Juni 1890 nach zweijähriger Bauzeit eingeweiht worden. Noch im selben Jahr wurde die Gemeinde selbstständig, bis dahin hatte Hemelingen noch zum Kirchspiel Arbergen gehört. Das Eichenholzportal und auch alle Nebentüren der Kirche stammen noch aus dieser Zeit.
Nachdem vor wenigen Jahren schon einmal eine der kleinen Türen restauriert werden musste, weil sich die diagonale Beplankung aus ihrer Silikonkittung gelöst hatte, ist nun das Hauptportal an der Reihe. „An der Südseite der Kirche hat sie ganz viel ultraviolettes Licht abbekommen – mit der klassischen Folge, dass der Überzug stark krakeliert ist“, beschreibt Karen Melching den Effekt: Im Sonnenlicht bekommt der Lack Risse, die sich allmählich miteinander verbinden und das Licht so brechen, dass die Oberfläche grau erscheint.
Optische Einbußen wären vielleicht nicht so schlimm gewesen, aber die alten Lackschichten, Acryl- und Silikonkitte hätten kaum noch gehaftet. „Das Holz war ausgewaschen, weil kaum noch Schutz vor Wasser da war, und es war von der Sonne ausgeblichen“, sagt Karen Melching.
Valentin Schmitz, Architekt bei der Bremischen Evangelischen Kirche und zuständig für die „typischen denkmalpflegerischen Instandhaltungsarbeiten“ an Bauwerken im Bremer Osten, weiß, dass in den 50er- und 60er-Jahren, „als Kunststoffe und fiese Lacke aufkamen“, viel versiegelt worden ist. „Das war gefährlich.“
Das Risiko besteht nicht mehr, denn seit 1996 ist die Hemelinger Kirche an der Westerholzstraße ein Baudenkmal. Jetzt werden Eichenholz und zuletzt auch die Blumenranken-Eisenbeschläge mit Leinöl behandelt. „Da gibt es keine dicken Schichten, das kann nicht abblättern“, erklärt die Restauratorin. Das Öl werde mehrfach aufgetragen und ziehe tief ein. „Auch Holzoberflächen, die so behandelt werden, werden mit der Zeit stumpfer und grauer, aber das Wasser perlt dann immer noch ab. Mit Leinöl erzielt man einen superschönen Effekt, es ist unbedenklich und bereitet einfach nur Freude. Außerdem lässt sich die Wirkung leicht auffrischen.“
Ganz ist es allerdings mit dem bekannten Hausmittel nicht getan: Auch UV-Licht absorbierende Substanzen und Lasuren kommen zum Einsatz: Deren Pigmente wirkten „wie kleine Schirmchen“ gegen das Sonnenlicht, sagt die Spezialistin. Spalte, die sich auftaten, hat sie mit Spänen aus Eichenholz verfüllt – altem versteht sich, wegen seiner dunkleren Färbung.
Auch die mit flachen Holzkeilen vorsichtig abgehebelten Beschläge, deren Ornamentik sich als Erhebung auf den ringsum verwitterten Holzflächen ertasten lässt, werden aufgearbeitet. Mit weichen Messingbürsten und mit Skalpellen hat Karen Melching lose Lackreste entfernt. „Auf den Rückseiten findet sich intakte Eisenmennige, die Blei enthält. Wo sie fehlt, wird sie durch rotes Eisenoxid ergänzt, das auf gebundenem Leinöl basiert.“
Ein Schmied habe diverse Ranken ersetzt, aber auch kleine Beschlagteile und Eisenblüten unterschiedlicher Größe, durch die die vierkantigen Nägel getrieben werden, die im Lauf der Jahrzehnte abhanden gekommen waren, erzählt Karen Melching. „Was fehlte, war an den Löchern im Holz leicht zu erkennen.“ Besonders mächtig wirken die zwei 80 Zentimeter breiten und 2,50 hohen Türflügel nicht, jedenfalls solange sie unbewehrt an der Werkstattwand lehnen. Wenn die Beschläge wieder dran sind, sagt die Restauratorin, sei man aber gut beraten, die Portale zu viert zu heben: Macht hoch die Tür, die Tor mach weit.
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