Auf den ersten Blick wirkt die Kommode eher unscheinbar: drei große und zwei schmale Schubläden bieten Stauraum. Aber dieses Möbelstück hat viel zu erzählen.
Auf den ersten Blick wirkt die Kommode eher unscheinbar: drei große und zwei schmale Schubläden bieten Stauraum, das antike Holz
schimmert in einem leichten Mahagoniton. Aber dieses Möbelstück hat viel zu erzählen. Zumindest denjenigen, die die richtige Sprache sprechen: In einer Werkstatt in der Stader Straße arbeiten Restaurator Roger Kossann und seine Mitarbeiterin Karen Melching seit einem Monat an der historischen Kommode. Die Inhaberin hat sie zu Beginn der Arbeit mit der Geschichte vertraut gemacht: Ihr Großvater Johann von Lessel diente auf der „Seeadler“ als Korvettenkapitän. Das Schiff der kaiserlichen Flotte wurde von 1890 bis 1892 in Danzig gebaut, und zur selben Zeit sind nach Ansicht des Restaurators die Einrichtungsgegenstände entstanden – dazu gehört auch die Kommode, die derzeit aufgearbeitet wird.
Bewiesen wird die Herkunft durch einen Brandstempel auf der Rückseite des Möbelstücks. Hier wurde zunächst der Stempel „Kaiseradler“ ins Holz gebrannt. Doch dann überlegte sich der Kaiser, dass er lieber seine Yacht so nennen wollte – und der kleine Kreuzer brauchte einen neuen Namen: Schließlich wurde das Schiff auf „Seeadler“ getauft und der Brandstempel auf der Rückseite geändert.
Unter der Schiffsbezeichnung gibt es noch andere Gravuren: Z. D. und BB III sind zu erkennen. „Deren Bedeutung haben wir noch nicht entschlüsselt“, sagt Kossann. Vielleicht kann hierbei noch das Schifffahrtsmuseum Bremerhaven helfen – wie schon im Fall der zahlreichen Messingbeschläge: Diese tragen alle ein „M“ sowie eine Krone. „Die Kollegen Behutsam wird die Oberfläche bearbeitet – das Alter der Kommode soll sichtbar bleiben. (Frank Thomas Koch) aus Bremerhaven wussten sofort, dass dies das Zeichen für die kaiserliche Marine ist, mir war das neu“, verrät der Bremer Restaurator.
Am liebsten würden er und seine Mitarbeiterin jedes Detail über das geschichtsträchtige Möbelstück herausfinden. Dabei besteht die eigentliche Arbeit ja in der Aufarbeitung der Kommode. Die Messingbeschläge hat Karen Melching entfernt und gereinigt. Das darunterliegende Holz schimmert in einem kräftigen Rotbraun – typisch für das damalige Modeholz Mahagoni. Der Rest der Kommode ist durch Licht, Luft und Wasser verblasst. Die Diplom-Restauratorin lässt die historische Farbe aber bestehen. „Wir wollen nicht alles neu machen, man soll einem Stück ansehen, dass es eine Geschichte hat“, sagt sie.
Melchings Arbeit bestand in den vergangenen Wochen überwiegend darin, das einst kaiserliche Möbel zu reinigen: 124 Jahre Staub, Politur und Wasser haben Spuren hinterlassen. Oben auf der Kommode ist ein Abdruck zu sehen. Hier soll nach der Familienchronik der Inhaberin auf dem Schiff ein Samowar gestanden haben. Etwas, woran sich die Familie erinnert und was daher auch nicht erneuert wird. Der historische Überzug aus Schellack kann weitestgehend erhalten bleiben. Wo es zu große Feuchtigkeitsschäden gibt, wird eine neue Schellackpolitur aufgebaut. Auch werden alle Schlösser wieder aufgearbeitet und fehlende Schlüssel angefertigt.
In etwa einer Woche kann das gute Stück dann abgeholt werden. Es passt genau zu einem Sekretär im Familienbesitz, beides hatte Großvater von Lessel erstanden, als das Schiff 1914 außer Dienst gestellt wurde. Seitdem lebt die Familie mit den historischen Möbeln: Am Sekretär haben mehrere Generationen fürs Abitur gelernt – die Kommode wird nach der Aufarbeitung ebenfalls täglich genutzt. „Die Möbel gehören zur Familie. Sie sind immer weiter gegeben worden und das verpflichtet uns, sie zu erhalten“, ist sich die Inhaberfamilie einig. Auch für die erfahrenen Bremer Restauratoren ist dieses kaiserliche Möbelstück etwas Besonderes. „So etwas habe ich noch nie aufgearbeitet“, verrät Karen Melching.
Dabei werden regelmäßig Familienerbstücke in den Betrieb zur Restaurierung gebracht. Allerdings erleben die Besitzer häufig eine Überraschung, wenn sich das vermeintliche Meisterstück des Groß- oder Urgroßvaters als Manufakturarbeit entpuppt. „Das ist eine Vorgängervariante von Ikea“, scherzt Kossann: „Die Leute konnten sich die Hölzer, die Größe und die Beschläge auswählen. Nach diesen Angaben wurden zum Beispiel Vertikos hergestellt.“ Kossann vergleicht antike Möbel gerne mit Altbremer Häusern: Besitzer mit Geld haben jede Mode mitgemacht und alte Türen, Fenster, Bodenbeläge ersetzt. „Am schönsten sind die Häuser, an denen niemand etwas verändert hat. Das Gleiche gilt für Möbel.“ Darum wird die kaiserliche Kommode auch nicht auf neu getrimmt, sondern behält ihre Gebrauchsspuren.
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