Restaurator schwört darauf / Zu rein nicht immer gut
Im Regal stehen durchsichtige Gläser mit Bienenwachs, Soda, Schlämmkreide und Hasenleim. Aber der Mann, dem diese Gläser gehören, betreibt keine leicht angestaubte Drogerie. Roger Kossann (30) ist Restaurator für Möbel und Holzobjekte. Seit Februar 1982 arbeitet er selbständig in einer großen Werkstatt unter dem Dach des Hauses Stader Straße 35. Zugegeben, das ist auf den ersten Blick nichts Besonderes. Dafür aber auf den zweiten: Kossann verwendet für seine Restaurierungsarbeiten nur Materialien, die aus der Zeit stammen, in denen das jeweilige Möbel gebaut wurde. Sein ältestes „Rezeptbuch“ erschien im Jahres des Herrn 1706.
„Ein altes Möbel ist ein Dokument“, lautet eines der Prinzipien des Restaurators. Und ein Dokument nun, damit sollte man sorgsam bewahrend umgehen. Für Kossann ist es ein Irrglauben, „daß immer nur die neuesten Errungenschaften der Weisheit letzter Schluß“ sein sollen. Ein Beispiel: die modernen Industrielacke, die laut Kossann heute bei der Möbelherstellung verwendet werden, halten rund 10 bis 15 Jahre – solange wie die Möbel selbst. „So etwas kann ich doch nicht auf einen Sekretär auftragen, der noch 150 bis 200 Jahre Lebensdauer vor und ebensoviel hinter sich hat“, meint der Restaurator aus der Stader Straße. Also versucht er, die Mixturen zu benutzen, das auch der ursprüngliche Schöpfer des Stückes verwendet hat.
Das war für Kossann nicht immer leicht. Gerade in der Anfangsphase seiner Selbständigkeit mußte er vor allem suchen: nach Fachliteratur mit den entsprechenden Angaben, nach Herstellern und Vertreibern der „altmodischen“ Substanzen. Mittlerweile ist auf diesem Sektor einiges einfacher geworden, und Kossann ist mit seinen Methoden auf Bundesebene längst kein „Exot“ mehr. Dafür gibt es andere Beschaffunsprobleme. Die beste Hausenblase etwa, ein Leim für Metalleinlagen in Holz, kommt aus der Sowjetunion. Und auf pünkliche Nachschublieferungen kann Kossann sich nicht unbedingt verlassen.
Ebensowenig kann er sich auf die Zusammensetzung „seiner“ Substanzen verlassen. Venezianisches Terpentinöl ist heute zum Beispiel wesentlich reiner als vor ein paar hundert Jahren. „Da muß man dann herumprobieren, bis die Kombination der Zutaten untereinander wieder stimmig ist.“
Doch die Besonderheit seiner Arbeit liegt nicht nur in den Materialien. Kossann: „Das Wichtigste passiert eigentlich im Vorfeld einer Restaurierung. Das Objekt wird gründlich auf seine Originalsubstanz hin untersucht. Je mehr davon fehlt, desto teurer wird die Arbeit. Aber, auch darüber müssen sich Antiquitätenliebhaber im Klaren sein, fehlende Originalsubstanz bedeutet immer auch einen Wertverlust des Möbels. Kossann hat sich seine Stammkunden in diesem Sinne „erzogen“.
In seiner Werkstatt verbringt Kossann viel Zeit mit der Vergangenheit. Hängen geblieben ist er darin allerdings nicht. Bereits seit 1992 dokumentiert und simuliert er seine Restaurierungsarbeiten für seine Kunden unter Verwendung digitaler Bildbearbeitung. Auf seiner umfangreichen Homepage stellt er seinen Auftraggebern in einem internen Bereich Bilder der aktuellen Bearbeitungsschritte zur Verfügung.
„Bevor sie ein Stück kaufen, ziehen sie mich häufig zu Rate.“ Mit einem Kostenvoranschlag des Restaurators weiß der Interessent dann, welche finanziellen Mittel er für den Besitz eines schönen Stückes aufwenden muß.
Manchmal weiß Roger Kossann selbst nicht, „was an einem Möbel nicht stimmt‘. Dann nimmt er das Stück für ein paar Tage in seine Werkstatt mit, dreht wendet, begutachtet es von allen Seiten. Das Wissen um Stilelemente und Proportionen hat er sich über die Jahre förmlich „angesehen“. 1975 stieg er in den Beruf, für den es weder eine geschätzte Bezeichnung noch verbindliche Ausbildungsregeln gibt, ein. Ein Bremer Antiquitätenhändler gab ihm damals eine Chance. Die Urlaube nutzte Kossann, um sich weiterzubilden. Er hat die wichtigsten Möbelbestände deutscher und aus ländischer Museen und Schlösser kennenge lernt. Die „Möbelbibel“ (dabei handelt es sich um die dreibändige Ausgabe von Kreisel/Himmelheber „Die Kunst des deutschen Möbels“) beherrscht er aus dem effeff. So etwas schult das Auge und davon profitiert Kossann heute zum Nutzen seiner Kunden. Doch er zeigt auch eigene Grenzen auf: „Es kommt durchaus vor, daß ich einen Kunsthstoriker bei den Planungen zu Rate ziehe.“ Wenns später ans konkrete Umsetzen solcher Pläne geht, verläßt der Restaurator („Keiner ist ein Universalgenie“) sich ebenfalls gern auf Meister ihres Fachs. Er arbeitet mit Drechslern, Schlossern, Tischlern und Gürtlern zusammen.
Das nichtvorhandene BerufsbiId, die ungeregelte Ausbildung sind dem gebürtigen Braunschweiger, der sich seit langem schon als echter Bremer fühlt, ein Dorn im Auge. Zu viele „schwarze Schafe“, so sein Eindruck, tummeln sich auf diesem Feld. Kossann hat sich des halb in zwei maßgeblichen Verbänden organisiert – im AdR und im DVFR. Die Arbeitsgemeinschaft der Restauratoren ( AdR) vetritt vor allem die Belange von Museumsrestauratoren, im Deutschen Verband der freiberuflichen Restauratoren fühlen sich die Selbständigen gut aufgehoben. Gemeinsam ist beiden Verbänden, daß sie sich auf politischer Ebene nachhaltig um eine Definition des Restauratorberufs bemühen.